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Ganztag entwickeln

Ganztagsangebote für Eltern? – Neue Wege der Elternarbeit an Schulen mit Ganztagsangeboten


Von Ulrike Schönfeld


Mit dem kontinuierlichen Ausbau von Schulen mit Ganztagsangeboten (im Folgenden Ganztagsschulen) seit den frühen 2000er Jahren nimmt die Schule durch das Mehr an Zeit, welches dort verbracht wird, einen immer größeren Stellenwert im Leben von Kindern und Jugendlichen ein. Dies bedeutet wiederum, dass sich die gemeinsam als Familie verbrachte Zeit verringert und Eltern und Schule sich zunehmend die Aufgaben von Bilderung und Erziehung der Kinder und Jugendlichen teilen. Aus diesem Grund ist die Akzeptanz und die Einbeziehung von Eltern und Erziehungsberechtigten in das neue Konzept von Schule unerlässlich.


ARGUMENTE FÜR MEHR ELTERNARBEIT

Eine bundesweite, von der Bertelsmann Stiftung (2016) durchgeführte Elternumfrage kommt zu dem Ergebnis, dass Ganztagsschulen in der Wahrnehmung der Eltern besser abschneiden als Halbtagsschulen (vgl. ebd., S. 7). Zudem sind mit dem Besuch einer Ganztagsschule vielfältige Erwartungen seitens der Eltern verbunden. Von einer offenen Ganztagsschule erhoffen sich dementsprechend 86% der Eltern zunehmende Selbstständigkeit des Kindes, interessante Angebote und eine verlässliche Betreuung. Diese Erwartungen können mehrheitlich als erfüllt angesehen werden (vgl. ebd., S. 19f.). Jedoch äußern Eltern auch Verbesserungswünsche, wobei rund die Hälfte aller Eltern eine engere Zusammenarbeit zwischen Schule und Elternhaus fordert. Insbesondere ein Viertel aller Eltern wünscht sich mehr Beteiligungsmöglichkeiten (vgl. ebd., S. 22f.).

Auch aus pädagogischer Sicht erscheint eine vermehrte Einbeziehung der Eltern in die Bildungsprozesse ihrer Kinder als sinnvoll. Durch den PISA-Schock offenbarte sich ein starker Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und dem Bildungserfolg von Schüler*innen, wodurch die Bedeutung nicht-schulischer Lernorte und die Familie als Bildungsinstanz in den Blick gerieten. Eltern können also durch informelle Lerngelegenheiten einen wichtigen Beitrag zur Bildung ihrer Kinder leisten (vgl. Richter, Müncher & Andresen, 2008, S. 49ff.). Verschiedene Wirksamkeitsstudien belegen weiterhin, dass die verbesserte Kooperation zwischen Schule und Elternhaus ein lange vernachlässigtes Potential für den Bildungserfolg von Schüler*innen birgt (vgl. Bartscher, Boßhammer, Kreter & Schröder, 2010, S. 10).


VISION EINER BILDUNGS- UND ERZIEHUNGSPARTNERSCHAFT

Der Nutzung dieses Potentials steht die bis vor wenigen Jahrzehnten noch vorherrschende klassische Rollenverteilung in Bezug auf Bildung und Erziehung entgegen, in dem Sinne, dass Bildung als alleinige Aufgabe der Schule und Erziehung als alleinige Verantwortung der Eltern angesehen wurde. Die Nachwirkungen dieser Glaubenssätze sind auch heute noch spürbar, beispielsweise daran, dass Elternarbeit häufig nur dann stattfindet, wenn es Probleme mit dem Kind gibt (vgl. Bartscher, Boßhammer, Kreter & Schröder, 2010, S. 14). Außerdem findet man aktuell seitens der Lehrkräfte sowie seitens der Eltern Grundhaltungen vor, die eine Zusammenarbeit erschweren. Die Lehrer*innen kritisieren einerseits mangelndes Interesse und Engagement von Eltern (vgl. ebd., S. 7), befürchten jedoch andererseits übersteigerte Erwartungen der Eltern und eine Einmischung in didaktisch-methodische Belange. Eltern hingegen fühlen sich oft unverstanden oder nicht ernst genommen und empfinden die Schulleitung und Lehrkräfte als Gemeinschaft gegen sich (vgl. Schreiber, Kliewe & Witt, 2007, S. 24).

Abb. 1: Traditionelle Aufgabenteilung in Bildung und Erziehung, Quelle: Bartscher, Boßhammer, Kreter & Schröder, 2010, S. 13.


Im Zuge des Ausbaus von Ganztagsschulen kommt es zu einer „Neujustierung von Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten zwischen Familie und Schule“ (Richter, Müncher & Andresen, 2008, S. 54), beispielsweise was die Nachmittagsbetreuung, Mittagessensversorgung und Hausaufgabenhilfe angeht. Außerdem bieten das Mehr an Zeit, das zusätzlich pädagogisch tätige Personal, die außerunterrichtlichen Angebote und der generell erweiterte Zuständigkeitsbereich der Institution Schule an Ganztagsschulen Anlass, den Erziehungsauftrag von Schule auszuweiten. Hier kommt der Begriff der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft ins Spiel, welcher „ein Konzept der Kooperation zwischen Lehrkräften und pädagogischen Fachkräften und Eltern“ (Bartscher, Boßhammer, Kreter & Schröder, 2010, S. 13) bezeichnet. Ein zentrales Ziel dessen ist die „Herstellung eines kommunikativen Verhältnisses“ (Richter, Müncher & Andresen, 2008, S. 53) aller an der Bildung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen beteiligten Personen und Institutionen. Dies setzt ein neues Verständnis von Bildung und Erziehung als jeweils gemeinsame Zuständigkeitsbereiche von Eltern und Schule voraus, wobei beide Parteien „als eigenständige Akteure gemeinsame Ziele verfolgen“ (Bartscher, Boßhammer, Kreter & Schröder, 2010, S. 14).

Abb. 2: Verbindliche Zusammenarbeit in Fragen der Bildung und Erziehung, Quelle: Bartscher, Boßhammer, Kreter & Schröder, 2010, S. 14.


WEGE ZU VERBESSERTER KOOPERATION

Um zu einer besseren Zusammenarbeit zu gelangen, sollte zunächst eine Bestandsaufnahme getätigt werden, welche Aspekte der Kooperation schon gut gelingen und wo noch Verbesserungsbedarf besteht. Dafür ist Feedback aus Lehrer- und vor allem aus Elternsicht zu empfehlen. In diesem Zuge kann auch eine Eltern-Ressourcen-Datenbank angelegt werden, in welcher die Eltern angeben, wie sie die Schule unterstützen können bzw. wollen. Alle Lehrkräfte können schließlich auf diese Datenbank zugreifen und eine Zusammenarbeit mit den entsprechenden Eltern kann systematisch und unkompliziert realisiert werden. Durch dieses Vorgehen werden schnell Berührungsängste zwischen den Parteien abgebaut und mehr gegenseitige Wertschätzung aufgebaut (vgl. Schreiber, Kliewe & Witt, 2007, , S. 34). Ebenso vielversprechend erscheint die Umsetzung einer „Zukunftswerkstatt“, zu der beispielsweise an einem Samstag Eltern, Lehrkräfte, Schulleitung und Schüler*innen zusammenkommen, um gemeinsam erfolgsversprechende Projekte zu entwickeln, welche in der Regel schnell umgesetzt werden können (vgl. Bartscher, Boßhammer, Kreter & Schröder, 2010, S. 23).


FORMEN DER BETEILIGUNG UND ZUSAMMENARBEIT

Die Möglichkeiten, Eltern am Schulleben teilhaben zu lassen, sind sehr vielfältig. Zu den traditionellen Formen der Zusammenarbeit gehören allen voran formelle und informelle Elterngespräche und Beratungen, beispielsweise Elternsprechtage, Elternversammlungen, Sprechstunden der Lehrkraft, Telefonate oder spontane Tür- und Angelgespräche. Inhaltlich stehen hierbei meist die schulischen Leistungen sowie das Verhalten des Kindes im Vordergrund (vgl. ebd., 2010, S. 25). Des Weiteren helfen Eltern häufig bei der Organisation und Umsetzung von Schulfesten sowie Veranstaltungen oder unterstützen die Lehrkräfte als Begleitung bei Klassenfahrten. Diese eher punktuell stattfindenden Veranstaltungen stoßen bei den Eltern auf die meiste Mitwirkungsbereitschaft (vgl. Börner, 2013, S. 13). Den größten konzeptionellen Einfluss auf die Mitgestaltung der Schule bietet unter den traditionellen Formen der Elternarbeit das Engagement in verschiedenen Gremien, wie dem Elternrat oder der Schulpflegschaft.

Neben den eben genannten bietet die Ganztagsschule noch viele weitere Möglichkeiten für interessierte Eltern, sich am Schulalltag zu beteiligen. So können sie unter anderem eigene Ganztagsangebote leiten, die Mittagessens- oder Hausaufgabenbetreuung übernehmen, Kontakt zu außerschulischen Partnern herstellen, außerschulische Lernorte bereitstellen oder eigene Projekte organisieren bzw. daran teilnehmen (vgl. Bartscher, Boßhammer, Kreter & Schröder, 2010, S. 28f.). Diese Optionen, den Ganztag an der Schule zu bereichern, werden von den Eltern jedoch nur in geringem Maße genutzt, da sie regelmäßiges, intensives Engagement voraussetzen (vgl. Börner, 2013, S. 13f.). Weiterhin bietet das Konzept der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft Anlass, dass nicht nur Eltern in die Bildungsprozesse der Kinder einbezogen werden, sondern auch die Schule Eltern in Erziehungsfragen unterstützt (vgl. Bartscher, Boßhammer, Kreter & Schröder, 2010, S. 26). Dies kann durch eigene Ganztagsangebote für Eltern bzw. Elternkurse, Erziehungsberatungen und Informationsveranstaltungen zur Entwicklung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen geschehen (vgl. Börner, 2013, S. 14). Zusätzlich können informelle Beteiligungsmöglichkeiten wie ein Elternstammtisch oder Elterncafé sowie gemeinsame Aktivitäten der Eltern mit der Klasse der Kinder angeboten werden.

„Wenn Ganztagsschulen ihren Bildungsbegriff erweitern und in ihrem Umfeld Partner zur Unterstützung und Bildung von Eltern und Familien suchen, neue Orte der Eltern- und Familienbildung schaffen, […] gehen sie weit über das bisherige Verständnis schulischer Bildung und Erziehung hinaus“ (Bartscher, Boßhammer, Kreter & Schröder, 2010, S. 15). Schulen würden zu Familienzentren weiterentwickelt und wären Orte, an denen Eltern gern gesehene Gäste sind, welche völlig selbstverständlich in den Schulalltag einbezogen werden.


KÖNNEN ALLE ELTERN ERREICHT WERDEN?

All diesen Bemühungen steht allerdings die Befürchtung entgegen, dass mit schulischer Elternarbeit nicht alle Elternhäuser erreicht werden können. Familien mit niedrigem sozioökonomischem Status sowie mit Migrationshintergrund gelten als besonders schwer erreichbar (vgl. Börner, 2013, S. 14). Dabei sind es gerade diese Personenkreise, mit denen eine Zusammenarbeit besonders wichtig wäre, um die durch PISA bestätigte Bildungsbenachteiligung ihrer Kinder zu verringern. Letztlich liegt es jedoch nicht an den Eltern, sondern an mangelnder Differenzierung in der schulischen Elternarbeit, weshalb zu manchen Familien noch nicht der richtige Zugang gefunden werden konnte (vgl. Bartscher, Boßhammer, Kreter & Schröder, 2010, S. 30).

Wichtig ist es hierbei, die Milieuzugehörigkeit der verschiedenen Familien zu beachten, da das Erziehungsverständnis der Eltern zum Großteil von deren Schichtzugehörigkeit abhängt. Außerdem sollten Lehrkräfte ihre eigene Milieuzugehörigkeit und die damit verbundenen Werte, Normen und Lebensstile reflektieren, um ihre persönlichen Vorstellungen nicht zu sehr zu verallgemeinern. Des Weiteren gibt es nur wenige universale Themen und Methoden, die für alle Elternhäuser geeignet sind. Es ist deswegen unerlässlich, dass die Schule über die Lebenssituation der Eltern in ihrem Einzugsgebiet sowie über die soziale und wirtschaftliche Situation des Stadtteils informiert ist (vgl. ebd., S. 31ff.). Die an Ganztagsschulen tätigen multiprofessionellen Kollegien bieten durch die Vielfalt an Expertise eine besonders gute Chance, um milieuspezifische Zugänge zu generieren. Ein einfacher Zugang, um mehr über die Lebenssituation der Familien zu erfahren, sind gemeinsame Stadtteilbegehungen, bei denen es darum geht, Orte, Siedlungen und Räume und deren Qualität aus Sicht der jeweils Beteiligten zu erforschen (vgl. Deinet, Krisch, 2009). So werden Eltern als ExpertInnen ihrer Lebenswelt in hohem Maße beteiligt, sie sind die Aktiven, sie geben die Route vor und die Fachkräfte begleiten als ethnografische FeldforscherInnen mit großem Interesse die »Eingeborenen«." (ebd.)

Die klassischen schriftlichen Einladungen zur Elternversammlung oder zum Elternsprechtag hingegen haben bei den sogenannten schwer erreichbaren Eltern nur eine geringe Wirksamkeit. Hier haben sich zum Teil telefonische oder persönliche Einladungen eher bezahlt gemacht. Auch der präferierte Zeitpunkt der Einladung, also lang-, mittel-, oder kurzfristig, ist von Elternhaus zu Elternhaus sehr unterschiedlich (vgl. Bartscher, Boßhammer, Kreter & Schröder, 2010, S. 34f.). Dieses simple Beispiel zeigt schon sehr einleuchtend, dass unterschiedliche Angebote von verschiedenen Personengruppen unterschiedlich gut angenommen werden und es daher auf vielfältig angelegte Zugänge ankommt. So nehmen Eltern mit Migrationshintergrund oder niedrigem sozioökonomischem Status seltener an den traditionellen Formen der Elternarbeit teil, Angebote mit niedrigschwelligerem und stärker informellem Charakter stoßen hingegen auf eine größere Akzeptanz (vgl. Börner, 2013, S. 15).


FAZIT

Es wurde deutlich, dass der Ausbau von Ganztagsschulen Anlass bietet, schulische Elternarbeit neu zu denken mit dem Ziel, ein partnerschaftliches Verhältnis zwischen Familie und Schule aufzubauen. Besonders Schüler*innen mit Migrationshintergrund und niedrigem sozioökonomischem Status können davon profitieren, wodurch ein wichtiger Schritt hin zu mehr Bildungsgerechtigkeit in Deutschland gegangen werden kann, was unter anderem zu den Versprechungen der Ganztagsschule zählt. Dies bedarf jedoch der Bereitschaft der Kollegien an den Schulen, mehr Ressourcen in die Elternarbeit zu investieren, damit milieuspezifische Zugänge entwickelt und umgesetzt werden können. Dieses mehr an Ressourcen ist allerdings nicht zu verwechseln mit einem Mehr an Arbeit, da gut etablierte Erziehungs- und Bildungspartnerschaften langfristig alle Beteiligten entlasten.


Lesehinweis: Weitere Informationen, wie die Partizipation von Eltern an Schulen mit Ganztagsangeboten gelingen kann, finden Sie im Beitrag „Partizipation von Eltern und Schüler*innen“ in der „Arbeitshilfe zum Qualitätsrahmen Ganztagsangebote“ ab S. 57.


LITERATURVERZEICHNS


Bartscher, M.; Boßhammer, H.; Kreter, G.; Schröder, B. (2010): Bildungs- und Erziehungspartnerschaft. Rahmenkonzeption für die konstruktive Zusammenarbeit mit Eltern in Ganztagsschulen. Der GanzTag in NRW – Beiträge zur Qualitätsentwicklung, 6 (18). URL: https://www.ganztag-nrw.de/uploads/media/GanzTag_Heft_18.pdf(Zugegriffen am: 07.02.2023).


Bertelsmann Stiftung (2016): Wie Eltern den Ganztag sehen: Erwartungen, Erfahrungen, Wünsche. Ergebnisse einer repräsentativen Elternumfrage. URL: https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePublikationen/ST-IB_Studie_Wie_Eltern_den_Ganztag_sehen.pdf.pdf (Zugegriffen am: 07.02.2023).


Börner, N. (2013): Elternarbeit in der Ganztagsschule. Erziehungs- und Bildungspartnerschaften. Schule NRW, 01/13, S. 13-15. URL: https://www.schulentwicklung.nrw.de/referenzrahmen/rr_datei_download.php?dateiid=3684(Zugegriffen am: 07.02.2023).


Deinet, U.; Krisch, R. (2009): Stadtteil-/ Sozialraumbegehungen mit Kindern und Jugendlichen. In: sozialraum.de (1) Ausgabe 1/2009. URL: https://www.sozialraum.de/stadtteil-sozialraumbegehungen-mit-kindern-und-jugendlichen.php, (Zugegriffen am: 07.02.2023).


Richter, M.; Müncher, V.; Andresen, S. (2008): Eltern. In: T. Coelen & H. Otto (Hrsg.), Grundbegriffe Ganztagsbildung. Das Handbuch (S. 49-57). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.


Schreiber, D.; Kliewe, A.; Witt, K. (2007): Es geht doch um die Kinder: Wenn Eltern und Schule gemeinsame Sache machen… Eine Arbeitshilfe zur Feedback-Kultur. Berlin: Deutsche Kinder- und Jugendstiftung. URL: https://www.ganztaegig-lernen.de/system/files/document/Arbeitshilfe%2008%20-%20Es%20geht%20doch%20um%20die%20Kinder.pdf (Zugegriffen am: 07.02.2023)

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