Von Giulia Richter
Unter dem Motto „Ich als Studentin mit Klasse!“ unterstützte ich im Schuljahr 2021/2022 eine erste Klasse einer Grundschule der Stadt Leipzig. Mit Offenheit, Mut und Engagement, den Transfer von theoretischen Studieninhalten hautnah in die schulische Praxis herstellend, wurde das StartTraining für mich nicht nur zu einer Herzensangelegenheit, sondern erwies sich auch als Unterstützung für den Ganztag. Die nachfolgenden Ausführungen basieren auf meinen Erfahrungen und einem Interview, das ich im Juni 2022 durchgeführt habe.
DAS STARTTRAINING – WAS IST DAS ÜBERHAUPT?
Das StartTraining ist ein Projekt, welches seit 2014 in Leipzig existiert und seit 2018 am Zentrum für Lehrer*innenbildung und Schulforschung der Universität Leipzig verankert ist. Es verfolgt das Anliegen, einen Transfer seitens der theoretischen, universitären Lehramtsausbildung in die Bildungspraxis zu ermöglichen, indem Studierende im ersten Halbjahr an Schulen arbeiten und dort vorrangig in den ersten und fünften Klassen unterstützend tätig sind. Für den kommenden Projektzeitraum 2022/2023 haben sich nach Angaben der Projektleiterin 200 Schulen und über 700 Studierende beworben.
DIE IDEE DAHINTER
Das Grundsatzprinzip des Projektes liest sich völlig unabhängig vom personellen Fachkräftemangel an Sachsens Schulen, ist angesichts der Situation an einigen Schulstandorten aber auch unter diesem Aspekt Unterstützung, wie Maren Reichert, die Projektleiterin des StartTrainings, erklärte „Explizit im Bildungsübergang wurde zusätzliches Personal an Schulen benötigt.“ Auch die Fachliteratur führt an, „dass es sich bei der Förderung von Übergangsprozessen um ein starkes soziales Geschehen handelt, das auf eine Vielzahl personaler Unterstützungsakte angewiesen ist“ (Eckert, 2013, S. 241). So liegt es nahe, auf Studierende der Lehrämter zurückzugreifen. Damit wird abgesichert, dass sich neben der Lehrkraft und anderem pädagogischen Personal noch eine weitere Bezugsperson im Raum befindet, welche innerhalb einer durchschnittlich 25-köpfigen Lerngruppe bestimmte Schüler*innen vermehrt unterstützen und zusätzlich anfallende Aufgaben übernehmen kann.
Um eine möglichst konstante Tätigkeit in einer Klasse zu gewährleisten, besteht für Studierende die Möglichkeit, ihre regulären Schulpraktischen Studien in das Projekt zu integrieren. Dadurch wird die Lerngruppe längerfristig unterstützt und die Kooperation mit der Lehrkraft gewinnt an Qualität. Außerdem kann nach individueller Absprache mit der jeweiligen Schulleitung die Tätigkeit im zweiten Schulhalbjahr und auch darüber hinaus fortgesetzt werden.
VIEL FREIRAUM LÄSST ALLE MÖGLICHKEITEN OFFEN
Die Studierenden sind durchschnittlich acht bis zehn Unterrichtsstunden, welche sich meist auf zwei Tage pro Woche verteilen, in den Klassen unterstützend tätig, wobei ihre Aufgabenfelder sehr vielfältig sind. Laut der Projektleiterin sind sie im Wesentlichen dem Unterrichtsprozess zugeordnet und folgen in ihrer Tätigkeit dem Stundenverlauf. Neben der Unterstützung der Lehrkraft und der Begleitung von Lerngruppen werden Kinder in Einzelförderungs- und Kleingruppensettings betreut, wie Maren Reichert erläutert. Sie weist außerdem darauf hin, dass Studierende an Grundschulen stark in die Lernausgangslagenerhebung eingebunden sind, die in Klassenstufe eins erfolgt. Beispielsweise verbrachte ich im Projekt viel Zeit damit, den Kindern im Fachunterricht unklare Aufgabenstellungen noch einmal zu erklären, ihre offenen Fragen zu beantworten und gegebenenfalls gemachte Fehler gemeinsam mit ihnen zu korrigieren. Die Beteiligung an Austausch und Zusammenarbeit mit den Lehrkräften sowie das Einbringen eigener Ideen sind weitere Kernaufgaben. Studierende sind in Formen des Teamteachings eingebunden, müssen in diesem Projekt aber nicht völlig autark agieren und können sich die Offenheit ihres Aufgabenfeldes zunutze machen.
DAS STARTTRAINING ALS KONSTANTE IN KRISEN
Auch während der Covid-19-Pandemie konnte eine große Zahl an Studierenden für das Projekt gewonnen werden. Wenngleich sich die Pandemie statistisch auf das Projekt nicht ausgewirkt hat, wie die Projektleitung angibt, brachte sie Diskontinuitäten in der Durchführung aufgrund von Schulschließungen und Quarantäneanordnungen mit sich. Dank der Entscheidung des Landesamtes für Schule und Bildung konnten Studierende im StartTraining jedoch als Unterstützung an den Schulen bleiben, als andere Externe keinen Zugang mehr hatten. Auch durch inhaltliche Veränderungen, wie der Umstellung von Präsenz- zu Online-Formaten, konnten Studierende ihr Engagement einbringen. Sie wurden beispielsweise über die LernSax-Plattform eingebunden und konnten darüber ihre Angebote, unter anderem digitale Lernvideos, den Kindern zugänglich machen. Maren Reichert hält fest, dass die Covid-19-Pandemie resümierend für das gesamte Projekt sowie die teilnehmenden Akteure keine stark verändernde Größe war.
DAS STARTTRAINING ALS STÜTZE FÜR DEN GANZTAG
Den Ganztag in Sachsen nicht nur quantitativ sondern auch qualitativ weiterzuentwickeln, ist laut der Projektleiterin dringend notwendig. Der Freistaat leistet einen Beitrag, indem Sachsens Schulen für das kommende Schuljahr 45 Millionen Euro für Ganztagsangebote und zusätzlich 15 Millionen Euro aus dem sogenannten Corona-Aufholprogramm zur Verfügung gestellt bekommen (vgl. Sächsische Staatskanzlei, 2022). Die Tätigkeit der Studierenden im Projekt wird aus diesen Mitteln finanziert. Maren Reichert berichtet, dass Schulen, welche am StartTraining teilnehmen, ihre verfügbaren finanziellen Mittel des Freistaates Sachsen durch das Projekt gezielt, effektiv, sachgerecht und gewinnbringend einsetzen können, sodass sie dem einzelnen Kind nachweislich zugutekommen.
Fördermaßnahmen sind ein wesentlicher Teil des Ganztages und werden durch das StartTraining als ein Förderformat inhaltlich gestützt. In der Tatsache, dass im Schuljahr 2022/2023 zusätzliche Förderangebote im Mittelpunkt stehen sollen (vgl. ebd.), begründet sich die Wichtigkeit des StartTrainings. Der sächsische Kultusminister Christian Piwarz, der sowohl 2020 als auch 2022 während der Veranstaltung zur Unterzeichnung der Kooperationsverlängerung auf die Bedeutung des Projektes verwiesen hat, hält in diesem Zusammenhang fest, dass Ganztagsangebote „ein unverzichtbarer Baustein erfolgreicher Bildung“ (ebd.) sind.
Schulen profitieren auch, weil sie engagiertes, motiviertes und oftmals längerfristiges Personal gewinnen. Insofern ist das StartTraining für sie eine gute Möglichkeit, innerhalb des Gesamtkontextes von Ganztagsangeboten eine stabile Zusammenarbeit mit dem Projektmanagement und den teilnehmenden Studierenden zu nutzen. Schulen werden laut Maren Reichert somit bei der Suche nach neuen Partner*innen für den Ganztag entlastet.
WIR LEBEN INKLUSION!
Heterogenität in Klassen, unter welcher im Schulkontext die „Unterschiedlichkeit von Kindern bzw. Jugendlichen“ (Trautmann & Wischer, 2011, S. 38) zu verstehen ist, braucht gezielte Unterstützung, da „jedes Kind aufgrund seiner Verschiedenheit einen besonderen, individuellen Förderbedarf hat“ (Rehle, 2009, S. 183). Besonders beim Bildungsübergang in den Klassenstufen eins und fünf kommen durchschnittlich 25 Kinder mit den unterschiedlichsten Vorerfahrungen und Voraussetzungen in einer Klasse zusammen, wie auch Maren Reichert darlegt. Neben der Lehrkraft können Studierende die mannigfaltigen Lernvoraussetzungen der Kinder in den Blick nehmen und an deren Ausgleich mitwirken, indem sie die Lernenden individuell fördern, aber auch fordern.
Die Projektleitung weist darauf hin, dass teilnehmende Studierende der Sonderpädagogik gezielt mit Regelschulen, welche Kinder mit diagnostizierten Förderschwerpunkten besuchen, zusammengebracht werden. Durch das Projekt kommt studentische sonderpädagogische Expertise an Schulen und unterstützt die Inklusion. Die Projektleiterin sieht Kooperation als Grundvoraussetzung für inklusive Lernsettings an.
NEUGIERIG GEWORDEN?
Für eine Projektteilnahme müssen sich Schulen und Studierende über ein digitales Formular, welches auf der Website des Projektes zu finden ist, jährlich neu bewerben. Maren Reichert ist erfreut, dass sich das StartTraining mittlerweile unter den Studierenden fest verankert hat und auch auf diesem Weg weiterkommuniziert wird.
Ausblick: Etablierung in Gesamtsachsen als zentrale Herausforderung
So viel steht fest: Der Fortbestand des Projektes ist gesichert. In Kooperation mit dem Landesamt für Schule und Bildung und der Jugend mit Zukunft gGmbH, die am 01.09.2022 für weitere zwei Jahre in der Verlängerung der Kooperationsvereinbarung festgehalten wurde, ist das StartTraining ein etabliertes und evaluiertes Projekt, welches von der Bildungspraxis weiterhin eindringlich gewünscht wird, erklärt Maren Reichert im Interview. Das Projekt hat mit drei Schulen in der Stadt Leipzig angefangen und sich daraufhin sowohl in Leipzig als auch in den angrenzenden Landkreisen etabliert. Inzwischen können durch eine Kooperation mit der Technischen Universität Chemnitz auch Schulen im Raum Chemnitz durch Studierende der TUC vom StartTraining profitieren. An einer Kooperation mit der Technischen Universität Dresden wird gearbeitet. Da das StartTraining von allen Seiten als willkommen angesehen wird, stehen Maren Reichert und ihre Kollegin Anke Weinreich vor der großen Herausforderung, Gesamtsachsen in das Projekt einzubeziehen.
WAS AM ENDE BLEIBT
Nach einem Schuljahr Tätigkeit in einer ersten Klasse kann ich neben der Bestätigung, den richtigen Studiengang gewählt zu haben, einen großen Kompetenzgewinn verzeichnen. Die Klassenlehrkraft sowie die Fachlehrkräfte profitierten durch mich als eine zusätzliche Hilfe bei organisatorischen Dingen und im Unterricht. Fragende in strahlende Augen der Kinder zu verwandeln, sie auf ihren Lernwegen und -fortschritten zu begleiten und sie in der Bewältigung ihres Schulalltages zu unterstützen, sind wundervolle Erfahrungen, die mir das StartTraining ermöglichte. Am Ende bleiben Stolz, Wertschätzung und Dankbarkeit, wie im Beitragsbild zu sehen ist – und nicht zuletzt Vorfreude, die Kinder der Klasse in ihrem zweiten Schuljahr weiterhin unterstützen zu dürfen.
LITERATURVERZEICHNIS
Eckert, M. (2013): Gelingende Übergänge ermöglichen – individuelle Bildungswege begleiten. In: Bellenberg, G. & Forell, M. (Hrsg.), Bildungsübergänge gestalten: ein Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis (S. 239-244). Münster: Waxmann .
Rehle, C. (2009): Grundlinien einer inklusiven, entwicklungsorientierten Didaktik. In: Thoma, P. & Rehle, C. (Hrsg.), Inklusive Schule: Leben und Lernen mittendrin (S. 183-193). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Sächsische Staatskanzlei (2022): 45 Millionen Euro für Ganztagsangebote im Schuljahr 2022/2023. URL: https://www.medienservice.sachsen.de/medien/news/1048387 (Zugegriffen am: 01.07.2022).
Trautmann, M.; Wischer, B. (2011): Heterogenität in der Schule. Eine kritische Einführung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. doi: 10.1007/978-3-531-92893-7
Weitere Information auf der Website des Projektes:
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