Ganztag in Sachsen: Einordnung der aktuellen Entwicklungen und Herausforderungen
- Ganztag entwickeln

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Von Ganztag entwickeln

Mit dem bundesweiten Rechtsanspruch auf ganztägige Betreuung für Grundschulkinder ab 2026 stehen Länder und Kommunen vor großen strukturellen Aufgaben. Drei aktuelle Landtagsdokumente – die Kleinen Anfragen Drs. 8/2442 (Frühjahr 2025) und Drs. 8/4260 (Herbst 2025) sowie die Antworten der Staatsregierung bzw. des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus (SMK) – geben einen guten Überblick darüber, wie Sachsen diesen Prozess derzeit gestaltet und an welchen Stellen noch Klärungsbedarf besteht.
Die analysierten Dokumente zeigen: Einiges ist angestoßen, aber an entscheidenden Punkten bleibt offen, wie der Freistaat die Umsetzung mittelfristig absichern will. Finanzfragen, Qualitätsentwicklung, bauliche Kapazitäten und pädagogische Rahmenbedingungen sind eng miteinander verwoben – und genau hier liegen die größten Herausforderungen.
FINANZIELLE RAHMENBEDINGUNGEN UND MITTELVERWENDUNG
Ein zentrales Thema ist die Finanzierung der Ganztagsangebote. Während bundesweit der Ausbau an Bedeutung gewinnt, sinken die Landesmittel in Sachsen deutlich: von 45 Mio. Euro (2024) auf 35 Mio. Euro (2025) und weiter auf 33 Mio. Euro im Jahr 2026. Laut Staatsregierung können dadurch Kürzungen von bis zu 40% der bisherigen Zuweisungen an Einzelschulen entstehen (vgl. Drs. 8/2442).
Diese Reduzierung wird zwar mit dem Hinweis seitens des Kultusministeriums relativiert, dass Schulen vor Ort am besten entscheiden könnten, welche Angebote Vorrang haben. Gleichwohl steht sie im Widerspruch zum bevorstehenden Rechtsanspruch, der künftig an allen fünf Tagen Ganztagsangebote vorsieht statt wie bisher an drei Tagen. Weniger finanzielle Spielräume bedeuten zudem zwangsläufig auch eine geringere Angebots- und Trägervielfalt.
Ergänzend dazu begründet die Staatsregierung die Kürzung mit in der Vergangenheit nicht ausgeschöpften Mitteln. Sie verweist auf Corona-Sondermittel, pandemiebedingte Schließzeiten und auf kleinere Rückzahlungen vieler Einzelschulen. Das erklärt einige Verzerrungen der Vorjahre, lässt aber offen, inwiefern administrative Hürden, zu wenig pädagogisches Personal, um Angebote durchzuführen, oder strukturelle Schwierigkeiten bei der Abrufung der Mittel eine Rolle spielten. Genau an dieser Stelle wäre eine detailliertere Aufarbeitung sinnvoll, um zukünftige Ressourcen besser planbar zu machen.
QUALITÄTSSICHERUNG, PÄDAGOGISCHE AUFGABEN UND ORGANISATORISCHE ANPASSUNGEN
In den Antworten des Kultusministeriums wird betont, dass die pädagogische Verantwortung für die Ganztagsangebote weiterhin bei den Schulen liegt. Zugleich sollen administrative Aufgaben schrittweise von Assistenzkräften übernommen werden. Dies benachteiligt allerdings genau die Schulen, welche auf die Assistenzkräfte angewiesen sind: Assistenzkräfte werden in der Regel an den Schulen mit besonderen Herausforderungen eingesetzt, an denen sich Lehrkräfte auf eins ihrer Kerngeschäfte, nämlich die Durchführung von Unterricht, konzentrieren sollen. Assistenzkräfte sollen demnach im Unterricht unterstützen sowie Sprach- und Integrationsmittlung übernehmen. Eben an diesen Schulen braucht es aber neben dem klassischen Unterricht auch ein starkes Ganztagsprofil, das sowohl die Lehr-Lern-Prozesse, aber auch Alltagskompetenzen und Freizeitgestaltung fördert. Dieser Personengruppe wird nun zusätzlich die Koordination des Ganztags übertragen, einer Aufgabe, die in ihrer Bedeutung für einen guten Ganztag systematisch unterschätzt wird. Die Grenzen von GTA-Organisation, Verwaltung und Evaluation sind fließend und eine klare Aufteilung zwischen reinen Verwaltungsaufgaben auf der einen Seite und pädagogischen Aufgaben auf der anderen Seite ist im Schulalltag nicht vorhanden. Das beginnt bei der Suche nach geeigneten GTA-Partnern, über die Aufgabe, die Schüler*innen auf die Angebote zu verteilen und zieht sich bis zur Konzepts- und Angebotsevaluation mithilfe des Qualitätsrahmens. Für die Umsetzung der großen Mehrheit der Tätigkeiten der GTA-Koordination braucht es eine pädagogische Qualifikation, welche jedoch eingespart wird.

Die Qualitätssicherung wird laut Antwort des SMK auch künftig durch das Landesamt für Schule und Bildung (LaSuB) überwacht, das für Monitoring, Beratung und Qualitätsentwicklung zuständig ist. Dies schaffe eine strukturierte Grundlage. Zur Wahrheit gehört aber auch: Die Servicestelle Ganztag ist derzeit mit nur 4 Personen landesweit für über 1.500 besetzt. In ihre Aufgabe fällt aber nicht nur der Ganztag, sondern beispielsweise auch das Schulbudget. Dieses Unterstützungssystem ist also personell viel zu gering aufgestellt, um eine systematische Unterstützung leisten zu können. Auch die im Haushalt vorgesehene Erhöhung des Budgets der Servicestelle von derzeit 200.000 Euro auf 300.000 Euro wird gerade nicht in weiteres Personal umgesetzt.
Gleichzeitig zeigt sich, dass die Schulen in einer Situation reduzier ten Budgets, steigender Anforderungen und personeller Engpässe gefordert sein werden, ihre Konzepte überhaupt aufrechtzuerhalten. Ob die Rahmenbedingungen hierfür ausreichen, bleibt derzeit offen.
STRUKTURELLE ENTWICKLUNG, MODELLPROJEKTE UND BAULICHE KAPAZITÄTEN
Ein weiterer Schwerpunkt ist die strukturelle Weiterentwicklung des Ganztags. Die Staatsregierung setzt stark auf das Modellprojekt „Ganztagspiloten“, dessen Ergebnisse erst im Herbst 2026 erwartet werden (vgl. Drs. 8/4260). Dieses Vorgehen kann langfristig wertvolle Erkenntnisse für die Ausgestaltung des Ganztags liefern. Gleichzeitig zeigt der Zeitplan, dass viele Schulen und Horte den Rechtsanspruch zunächst ohne voll ausgearbeitetes landesweites Rahmenkonzept bewältigen müssen.

Auch im Bereich Infrastruktur stellt sich die Lage herausfordernd dar. Das Bundesinvestitionsprogramm wurde in Sachsen vollständig ausgeschöpft: Insgesamt 97 Vorhaben mit rund 147,5 Mio. Euro wurden bewilligt – davon der Großteil für Platzschaffung, der Rest für Qualitätsverbesserung (vgl. Drs. 8/4260 ).
Allerdings stehen aktuell keine weiteren Bundesmittel zur Verfügung, und im sächsischen Haushalt 2026 sind nur noch Abfinanzierungen laufender Projekte vorgesehen. Hier entsteht eine Lücke zwischen den baulichen Anforderungen des Rechtsanspruchs und den verfügbaren Fördermitteln. Die Herausforderung wird für Kommunen in den kommenden Jahren eher wachsen.
Ein spezielles Augenmerk gilt den Schulen mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung. Für diese existieren keine separaten Betreuungseinrichtungen, und die Ferienbetreuung bleibt ein sensibles Thema. Die Staatsregierung befindet sich hierzu in Gesprächen mit kommunalen Verbänden – ein verständlicher Prozess, der jedoch zeitnah verbindlichere Lösungen bräuchte.
Dennoch ist die strukturelle Verantwortungsverschiebung gegenüber den örtlichen Trägern der Jugendhilfe als kritisch zu betrachten. Eine einfache Kooperationsvereinbarung zwischen der Kindertageseinrichtung Hort und dem jeweiligen Schulstandort soll dann standortspezifische Angebote unterstützen und in Gänze die Sicherung des Rechtsanspruches wahren, obgleich Unstimmigkeiten in Finanzierung sowie unklare ministeriale Zuständigkeiten weiterhin die qualitativ hochwertige Umsetzung des Ganztags erschweren.
ZUSAMMENFASSENDE EINORDNUNG
Die Dokumente vermitteln einen differenzierten Eindruck der aktuellen Lage: Der Freistaat Sachsen ist in einigen Bereichen aktiv, etwa bei der Konzeptentwicklung, der Qualitätsberatung und der wissenschaftlichen Begleitung. Gleichzeitig ist die Diskrepanz zwischen dem zeitlichen Beginn des Rechtsanspruchs (2026) und der Verfügbarkeit zentraler Ergebnisse (ebenfalls 2026) nicht zu übersehen.
Mehrere Aspekte – insbesondere Finanzierung, Personalressourcen, bauliche Kapazitäten und Inklusionsbedarfe – müssen auf grundsätzlich andere Beine gestellt werden. Sachsen steht vor großen Aufgaben bei der Umsetzung des Ganztagsanspruchs, nicht in quantitativer Hinsicht, sondern in qualitativer Hinsicht. Die bisher vorliegenden Antworten der Staatsregierung zeigen, dass wichtige Schritte angestoßen wurden, aber auch, dass an vielen Stellen noch Kommunikation, Konkretisierung und Klarheit notwendig sind, in einigen Bereichen aber auch ein Umdenken. Ein gemeinsamer Blick von Land, Kommunen, Horten und Schulen wird entscheidend sein, um die kommenden Jahre erfolgreich zu gestalten und den Rechtsanspruch so umzusetzen, dass Kinder und Familien wirklich profitieren.

Darüber hinaus bleibt eine wichtige Kritik, die bereits der Landesrechnungshof in seinem Prüfbericht im Jahr 2022 über den sächsischen Ganztag schrieb: Es ist nicht erkennbar, welche Ziele das SMK mit dem Ganztag in Sachsen verfolgt (vgl. Landesrechnungshof Sachsen, 2022).
In Sachsen gibt es ein unterstützendes Netzwerk, dass über das SMK hinausgeht: Von der Regionalen Transferagentur für kommunales Bildungsmanagement über die Schulämter der Stadt Dresden und Leipzig, vom Landesverband der Kita- und Schulfördervereine über den Ganztagsschulverband bis hin zum Unterstützungssystem Ganztag entwickeln. Das SMK ist gut beraten, gemeinsam im Dialog mit allen Beteiligten den Ganztag in Sachsen qualitativ weiterzuentwickeln.














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